„Rückenschmerzen sind oft auch Kopfsache“ – das Problem mit dem Bandscheibenvorfall

Drei Fragen an:  Markus Nagel, Heilpraktiker und Osteopath in Osnabrück

1. Verursachen wirklich die Bandscheibenvorfälle die meisten Rückenschmerzen?

Nein, man kann guten Gewissens sagen, dass die Bandscheibe in den meisten Fällen überbewertet wird. Diese anatomische Struktur spielt bei Rückenbeschwerden erstmal kaum eine Rolle. Dies zeigt sich immer wieder bei Studien (siehe auch Beitrag auf NDR-Visite vom 19.7.2019). Es sind vielmehr Verdrehungen und Verformungen der umliegenden Strukturen, die Schmerzen produzieren.

Die Bandscheiben sind diagnostisch überrepräsentiert, weil die bildgebenden Verfahren sie in den Mittelpunkt stellen. Die Bildgebung ist zwar korrekt, aber die Beschwerden kommen nicht von dieser Struktur, die man im Bild sieht, sondern von den Faszien. Diese lassen sich aber nicht so gut im Bild darstellen und kommen somit auch nicht in der anatomischen Betrachtung und kaum in der schulmedizinischen Ausbildung vor. In der Osteopathie dagegen steht die Faszie seit jeher im Mittelpunkt der Betrachtung.

Aber nicht die Bandscheiben werden behandelt, sondern die Beschwerden der Patienten. Therapeutisch geht es darum, die Menschen in Bewegung zu bringen. Die Bandscheibe wird sich dadurch nicht grundlegend verändern. Allerdings setzt sich eine Diagnose wie „Bandscheibenvorfall“ oft im Kopf fest. Daher ist es manchmal fatal, wenn man leichtfertig zur Diagnose bildgebende Verfahren einsetzt. Meist lässt sich durch einfache klinische Tests nei Rückenbeschwerden die Relevanz eines möglichen Bandscheibenvorfalles erkennnen bzw. auch ausschließen.

Bandscheibenvorfall nicht so relevant. Rückenschmerzen kommen von Fasziendistorsionen
Bandscheibenvorfall? Meist machen die Fasziendistorsionen Rückenschmerzen

2. Was genau versteht man denn unter Faszien, was ist ihre Funktion?

Es handelt sich um ein Organ, das die Wahrnehmung des Körpers steuert. Wir kontrollieren über das Fasziennetzwerk unseren Körper. Die Faszie ist somit der Sitz des Körpersinns, der sogenannten Propriozeption. Darüber hinaus nehmen wir mit der Faszie auch Schmerzen wahr. Sie ist somit auch Sitz der Schmerzwahrnehmung, der Nozizeption. Wenn Faszien verdreht oder verformt sind, entstehen wahrnehmbare Signale im Körper, Beschwerden oder Schmerzen. Diese Verdrehungen können aber zurückgeführt werden.

Gleichzeitig bildet das Fasziennetzwerk aber auch die Struktur, die den Körper repariert. Faszie ist sehr viel mehr als nur das sogenannte „Bindegewebe“, das – wie der Name schon sagt – lediglich funktional etwas miteinander verbindet. Faszie ist das Kommunikationsnetzwerk zwischen allen anderen Strukturen, Organen, Flüssigkeiten, Nerven. Sie sorgt für den Austausch von Stoffen und Informationen, damit der Körper immer funktioniert.

Faszien sind die Reparaturwerkstatt des Körpers

Dabei erfüllen Faszien zum Beispiel auch wichtige immunologische Funktionen für die Gesunderhaltung. Sie geben dem Körper Form und Funktion – und spielen eine große Rolle bei der Kraftübertragung. Denn die Muskulatur ist nichts anderes als ein kontraktiles Gel in einer Faszienhülle, die somit die Möglichkeit einer dynamischen Bewegung erhält. Dadurch, dass die Faszie reparatur- und anpassungsfähig ist, kann jede Verdrehung zurückgeführt werden, z.B. auch durch therapeutische Handgriffe von Osteopathen oder anderen Therapeuten.

3. Wie entstehen solche Verformungen und wie kann man ihnen begegnen?

Verdrehungen und Verformungen entstehen alltäglich und durchgehend, da der Körper stets mit Kräften konfrontiert wird. Somit ist Anpassung und Reparatur ein lebenslanger Prozess. Es ist oft hilfreich, den Körper als eine Dauerbaustelle zu betrachten, die sich allerdings in den meisten Fällen komplett selber organisiert und repariert. Aber gerade auch bei akuten oder hartnäckigen Rückenschmerzen können mit bestimmten therapeutischen Handgriffen verdrehte Strukturen, Fasziendistorsionen, wieder zurückgeformt werden. Dabei spielt auch die individuelle Körperwahrnehmung eine entscheidende Rolle.

Den Rücken hin und wieder zu spüren, ist erstmal normal. Nicht jeder einmalige oder seltene Rückenschmerz sollte medizinisch abgeklärt werden. Auch scheinbar sehr starke Beschwerden müssen kein Anzeichen für ein dramatisches Geschehen sein, wie es in vielen medizinischen Konzepten verbreitet wird. Durch die entsprechende Verunsicherung im Kopf sind viele Betroffene dann nicht mehr in der Lage, eigenverantwortlich und mit Vetrauen in den eigenen Körper normale Bewegungsmuster aufzunehmen.Dabei wäre es sehr hilfreich, Ruhe zu bewahren und leichte Bewegungen durchzuführen. Hierbei gibt es wiederum keine richtigen und falschen Bewegungen, sondern jeder muss erspüren, welche Bewegungen im Einzelfall funktionieren. Um den Körper auch langfristig anpassungsfähig zu halten, ist jede Art von Bewegung, besonders dynamische, sinnvoll.

Bewegung bei Rückenschmerzen, aber keine Wärme

Die fast überall postulierte und beworbene Unterstützung durch Wärmeanwendung, z.B. mit Wärmepflastern oder Wärmekissen, ist hingegen in den meisten Fällen komplett kontraindiziert. Die überschüssige Wärme erzeugt durch Flüssigkeitansammlung langfrisitg verstärkt Verklebungen im Gewebe. Diese unphysiologische Reaktion in der Faszie führt dann zu Rückenschmerzen die sich chronifizieren, ein Zustand den wir als Therapeuten leider zu oft in der Praxis sehen.

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